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TOEFL, GMAT und Konsorten: testwiseness

Verfasst am | 3. September 2010 | Keine Kommentare

Auf der Suche nach sinnlosen Erweiterungen bekannter Drei-Buchstaben-Abkürzungen wie ARD, MFG, KMH oder ICE, wie sie von den Fantastischen Vier in Perfektion ad absurdum geführt wurden, bin ich im Rahmen der Informationsbeschaffung zwecks Auslandsaufenthalt zwangsläufig auf die diversen Tests gestoßen, die selbstverständlich politisch korrekt, inhaltlich fundiert und vollkommen objektiv die sprachlichen bzw. analytischen Fähigkeiten des Kandidaten überprüfen.

Während bereits die Praktiken im Medizinstudium bei mir nur sehr schwer positive Gefühle erwecken, ist es bei Sprachtests noch eine Stufe extremer, auf die Spezies „Multiple-Choice“ (MC) zurückzugreifen. Diese Testform findet meine tiefste Abneigung alleine in ihrer reinen Existenz, denn eine Prüfungsform, bei der ein völlig Unwissender mit Glück und Verstand eine richtige, vollständig perfekte Antworte geben ankreuzen kann, steht völlig konträr zu den hohen Ansprüchen, die Institutionen erheben, die diesen Test wiederum einfordern. Oder um es kurz und knapp zu sagen: Diese im Extremfall zum Ratespiel verkommene Prüfungsform kann in meinen Augen keinesfalls die fachlichen Fähigkeiten einer Person annährend korrekt einordnen.

Habe ich mich hier mal wieder weit aus dem Fenster gelehnt oder wieder nur negativ und polemisch übertrieben? I don’t think so, äh, sorry:

Please choose the correct answer:

[] A: Total übertrieben!

[] B: Ein bisschen übertrieben!

[] C: Ist was wahres dran!

[] D: Völlige Zustimmung!

Zurück zum Medizinstudium, welches mir als erstes in den Sinn kommt bei Ankreuztests: Man bekommt einen Fragekatalog und hat im dümmsten (oder sollte ich sagen schlauesten Fall) nur eine Minimalvorbereitung absolviert. Also heißt es nun in diesem Fall ein wenig seine Lateinfähigkeiten und meinen besten Freund, Kollege Menschenverstand herauszukramen – das ist der, den viele gerne vergessen und ausblenden, wenn es um DENKEN geht. Einfach treiben lassen, und zwar nicht durch das mögliche Unwissen, sondern von der eigenen Fähigkeit mit Logik und richtiger Intuiton hinter den Charakter der Prüfungsfrage zu gelangen. Und schon ist es bei leichteren bis mittelschweren MC-Tests möglich, ein ordentliches bis gutes Ergebnis auch auf völlig fachfremden Gebieten zu erlangen.

Ich erspare hier einige sinnfreie Beispiele aus dem Bereich  des Medizinstudium oder dem Trendsetter in Sachen dümmlicher Fragestellung, dem theoretischen Führerscheintest. Obwohl, ein Knaller in Sachen Menschenverstand muss genannt werden:

Frage: (Man sieht ein Bild aus Sicht eines Autofahrers mit vier Kindern, die von der Straßenmitte nach links (drei von ihnen) und eins nach rechts (das Mädchen) rennen. In der Straßenmitte bleibt ein Ball liegen. Fragemöglichkeiten zur Auswahl:

Womit müssen Sie rechnen?

.

.
Noch Fragen? Ich nicht. Wer ernsthaft Nr. 3 ankreuzt, will entweder bewusst nicht bestehen oder hat sonst alles richtig und will die Sinnlosigkeit des Tests durch eine bewusst falsche Antwort verdeutlichen. In Wikipedia wird im Abschnitt „Nachteil“ genau das als testwiseness, also der Fähigkeit, sich ohne Wissen positiv durch einen Test zu hangeln, beschrieben. Ein Beispieltest, der das Problem verdeutlich, kann hier eingesehen werden.
Das auch rechtlich die Prüfungsform Multiple-Choice-Test auf reichlich wackligen Füßen steht, zeigt dieser Artikel der Seite www.pruefungsamt.de (die ich nicht näher kenne). Allerdings halte ich, ohne die Korrektheit des Gerichtsurteils fachlich  in Frage stellen zu wollen oder zu können, die Begründung für dimetral falsch:
„Für die Beurteilung von Erfolg oder Misserfolg genügt nicht die Bestimmung einer absoluten Bestehensgrenze. Erforderlich ist auch die Bestehensgrenze im Verhältnis zu einer für möglich erachteten Höchstleistung oder einer Normalleistung.“

Das ist für mich ein fachlicher Kollateralschaden, den eine unzulängliche Prüfungsform mit sich bringt. Das heißt im Klartext nichts anderes, als das ein Prüfer einen MC-Test mit Bewertungssystem entwickelt, aber viele Geprüfte durchfallen. Dem Artikel ist zu entnehmen, dass das BVG eine relative Bestehensgrenze angemahnt habe, welche verpflichtend in eine Prüfungsordnung einzubeziehen sei. Aber was heißt das letztlich? Nichts anderes als das es im Extremfall einen Einäugigen unter den Blinden geben kann, der auf insgesamt sehr schwachem Niveau die „Bestwertung“ markiert. Ganz krass könnte die nach originär intendiertem Punktespiegel sogar nichtmal zum Bestehen des MC-Tests reichen. Diese Person ist dennoch die „Beste“ und alle andere müssen dürfen sich an ihr orientieren und einen noch schlechteren Test absolvieren. Das reicht aber glücklicherweise vielleicht sogar, um den MC-Test zu bestehen. Angenommen es gibt 5 Testpersonen, Peter schafft kanpp 50% der Fragen richtig zu beantworten (normalerweise hätte er nach Unigrenzen knapp mit 4.0 bestanden).  Er ist der Einäugige unter den Blinden, denn die anderen vier sind kanpp schlechter und wären normalerweise durchgefallen. Aber dank der relativen Bestehensgrenze hat nicht nur Peter entsprechend sehr gut, sondern auch alle andere bestanden. Herzlichen Glückwunsch.

Problem: Keiner hatte wirklich die fachlichen Fähigkeiten oder den Menschenverstand, um den Test gut zu absolvieren. Dennoch wären alle durchgekommen, was ist ein Armutszeugnis für die Prüfungslandschaft ist. Ein bisschen muss es schon nach Leistung gehen, wenn fachlich nirgendwo was da ist, dann darf schlicht und einfach auch keiner bestehen. Ganz einfach.

Abschließend zurück zum MC-Test: Ein Vorteil sei es, dass man ihn schnell auswerten und somit viele Testpersonen in kurzer Zeit abfertigen beurteilen könne. Gerade in Zeiten überlaufener Studiengänge ein toller Aspekt. Ich finde: Wer es nicht schafft, eine adäquate Prüfungsform im Sinne eines Aufsatzes, Gespräches, einer Hausarbeit oder einer Präsentation so zu organisieren, dass unabhängig der Teilnehmerzahl ein vernünftiges und fachlich tatsächlich beurteilbares Ergebnis dabei herausspringt, der hat es nicht verdient, solche Prüfungen durchführen zu dürfen.

Fazit: Weg mit den sinnlosen MC-Tests, wenn ich Ratespielchen haben möchte, schalte ich das Quiz im Ersten mit Jörg Pilawa, Wer wird Millionär oder Bimmel-Bingo ein.

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