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ÖPNV im europäischen Städtevergleich- Teil 1: Mit Netz und doppeltem Boden

Verfasst am | 6. April 2014 | Keine Kommentare

Worum es geht?

Was haben London, Istanbul und Berlin gemeinsam? Sie sind alle die Hauptstädte ihrer Länder? Nein, nicht ganz. Aber sie sind die jeweils mit weitem Abstand größten Städte ihres Landes: London hat 8.308.369 Millionen, Istanbul sogar 14.160.467 Millionen und Berlin, naja, immerhin 3.415.091 Millionen Einwohner. Was braucht man am dringlichsten, wenn man es mit so vielen Leuten auf einem Haufen zu tun hat? Genau, neben eines vernünftigen Wohnungsmarkts vor allem eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur. Dazu gehören der Fernverkehr, also Autobahnen, Flughäfen und Fernbahnanschlüsse, aber natürlich auch ein effektiver öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV). Auf den Fernverkehr und hier im Speziellen den für die Internationalität einer Stadt wichtigen Flugverkehr gehe ich hier nicht näher ein. Dazu werde ich in Kürze einen eigenen Blogeintrag erstellen. Stattdessen fange ich erst einmal klein an, also mit dem ÖPNV.

Der Status Quo

Wenn man sich die drei genannten Städte London, Istanbul und Berlin ansieht bezüglich des ÖPNV, zeigen sich sowohl deutlich Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten. London hat – so die Wikipedia  – nicht nur das älteste, sondern auch drittgrößte U-Bahnnetz der Welt mit 402 km (nach Shanghai und Peking). Im Schnitt benutzen täglich 3.2 Millionen Menschen die Londoner U-Bahn mit ihren 270 Stationen. Aus zahlreicher eigener Erfahrung weiß ich vor allem zu schätzen, dass selbst in der hektischsten Rush Hour mit quasi randvollen Bahnsteigen und Zügen fast immer ein reibungsloser Ablauf gewährleistet ist. Natürlich gibt es auch Verzögerungen und Zugausfälle, aber das ist aus zwei Gründen nicht schlimm. Zum einen ist die Website der Betreibergesellschaft TFL (Transport for London) sehr einfach und übersichtlich strukturiert. Hier gibt es immer aktuelle Informationen zu Streckensperrungen und ein echtes Livetracking der Züge. Zum anderen gibt es einen Takt, der nicht nur in der besagten Rushhour auf ~2-3 Minuten pro Linie geht, sondern auch sonst bis in die Nacht hinein selten mehr als 5-8 Minuten auf den Strecken bis raus nach Heathrow beträgt.

Istanbul ist etwas anders gestrickt. Einerseits ist die Stadt historisch per Bosporus getrennt auf zwei Kontinenten beheimatet, sodass der ÖPNV allein geographisch immer problembehaftet war. Andererseits war der ÖPNV erst später als z.B. in London relevant für eine Stadt, die eine irrsinnige Bevölkerungsentwicklung von 680.000 Einwohner (Jahr 1927) hin zu besagten 14.160.467 (Jahr 2013) hinter sich hat und daher, um es einfach zu formulieren,  in Sachen Individualverkehr aus allen Nähten platzt. Lediglich zwei große Brücken verbinden die Teile, wie auf den Bildern meines Kurzurlaubs kürzlich schön zu sehen ist. Neben der Trennung durch die Meerenge hat Istanbul aber noch eine zweite Besonderheit: Ziemlich markante Steigungen mitten im historischen Stadtgebiet von Eminönü und Fatih, aber auch in den neuen wirtschaftlich geprägten Teilen wie Levent rund um den Sapphire of Istanbul. Dadurch bedingt gibt es vermehrt verschiedene Typen von ÖPNV. Während es in London neben den bekannten roten Doppeldeckerbussen hauptsächlich die U-Bahn ist, sind es in Istanbul einen bunte Mischung aus Vorort S-Bahn, einer aufstrebenden und stärker werdenden U-Bahn, klassischen Bussen und den Dolmus-Sammelbussen, der überirdischen Straßenbahn und zwei wirklich sehr historischen Standseilbahnen. Der Tünel ist dabei sogar die zweitälteste U-Bahn der Welt, wobei ihre Strecke genauso kurz wie „elevativ“ ist; d.h. konkret auf einer Strecke von 606,5 m unfassbare 61,55m in der Höhe. Zum Vergleich: Die  Boeing 777 wie die verschollene von Flug MH370 hat eine viel geringere Sinkrate ohne Triebwerkschub. Gleiches gilt auch für die extreme Steigung der Standseilbahnlinie F1 in Istanbul, Füniküler von Meereshöhe (Kabatas) hoch zum Taksim. Dazu kommen natürlich unzählige Fähren, die zwischen den verschiedenen Anlegestellen auf beiden Kontinenten im 5-10 Minutentakt fahren. Dies wurde durch den jüngst gebauten Marmaray zum ersten Mal in der langen Geschichte der Stadt per Tunnel realisiert (diese enorme Bedeutung wurde in der sonst überragenden Heute Show leider komplett ignoriert).

Und dann gibt es natürlich noch Berlin. Die U-Bahn fährst in Berlin seit 1902 und ist damit nicht nur die mit dem größten Netz innerhalb Deutschlands, sondern auch älteste. Die hier nebenan fahrende U4 ist übrigens die erste kommunale U-Bahn der damals eigenständigen Stadt Schöneberg. Mehr zur Geschichte kann man hier nachlesen. Dazu kommen natürlich ganz wesentlich die S-Bahn sowie die zahlreichen Busverbindungen. Im Ostteil der Stadt fahren auch noch Straßenbahnen, die ich aber aus selbigem Grund selbst nur extrem selten benutze. Das Schienennetz kann man schwer z.B. mit London bezüglich Länge oder Anzahl der Bahnhöfe vergleich, da die S-Bahn innerhalb des Rings ähnliche Aufgaben wie die U-Bahn erfüllt – nur mit weiteren Abständen zwischen den Bahnhöfen und erhöhter Reichweite bis in die Vororte außerhalb des Rings. Die Buslinien sind wie in London unterteilt in Schnell- (Metro-) und Standardbusse und fahren quasi überall. Die U-Bahn in Berlin hat in der Regel tagsüber einen 5 Minuten Takt in den Hauptverkehrsbereichen und ich glaube auch bis an die Endbahnhöfe wie Pankow, Rudow oder Spandau. Zwei Ausnahmen bestätigen diese Regelung und natürlich betrifft es mich: Neben der momentan noch als Kanzlerlinie agierenden U55 mit ihren drei Stationen HBF, Bundestag und Brandenburger Tor hat nur noch die U4 einen 10 Minutentakt tagsüber. Und als direkter Anrainer dieser Linie sind 10 Minuten bei einer Fahrtzeit von ca. 30 Minuten extrem viel und extrem nervig. Früh morgens und in der angeblichen Rushhour, also von ca. kurz vor 16 Uhr bis ~18 Uhr ist es auch ein 5-Minuten-Takt, von dem ich selten was mitnehmen kann. Die S-Bahn hat einen variierten Takt je nach Linie. Die Ringbahn fährt offiziell alle 10 Minuten ihren Kreis, die anderen Linien haben teilweise auch einen 20 Minutentakt, z.B. vom Spandauer Bahnhof über das Aquädukt und weiter Richtung Osten. Die M-Busse fahren mindestens alle 10 Minuten, klassische Innenstadtlinien wie die Tourinummern 100 oder 200 sogar alle 5 Minuten. Und dann gibt es noch die 20-minüter auf den ergänzenden Linien. Die Trams haben soweit ich weiß meistens einen 10-Minuten-Takt.

Fazit und Erfahrungen zur Versorgung

Platz 1: London Eigentlich immer zuverlässig und extrem variabel. Der Netzplan zeigt z.B. das erhebliche Potential an Umsteigeverbindungen; wenn also etwas ausfällt, dann gibt es „fast“ unendlich viele alternative Möglichkeiten, um von A nach B zu kommen. Die Züge werden immer moderner und so wurde z.B. der fast legendäre Stocktrain der Metropolitan Line erneut (von A Stock zu S Stock ). Neben den Kleinprofilzügen der Tube auf den Linien Bakerloo, Central, Jubilee, Northern, Piccadilly Victoria und Waterlow & City gibt es noch die Sub-Surface Linien Circle, District und Hammersmith & City im Großprofil. Einzig die Nacht ist noch ein ziemlich blankes Feld, denn wenn die letzte Tube aus dem Bahnhof weg ist, das berüchtigte „Last train appoaching“ also, geht unter der Erde nichts mehr. Die Nachtbusse, z.B. Richtung Earls Court, sind dann aber trotzdem im 15-Minuten-Takt ganz brauchbar. In Zukunft möchte die TFL aber auch einen 24 Stunden Takt am Wochenende einführen. Den lokalen Zugverkehr lasse ich mal aus, da der insgesamt in UK eher mau ist. Die Verbindungen zu den Flughäfen Luton, Stansted oder Victoria sind aber völlig ok (ca. 40 Minuten).

Platz 2: Berlin Das Netz sehr gut, der Takt NACH PLAN ebenfalls sehr vernünftig und die Zeit, um von A nach B zu kommen ist im Prinzip im Großen und Ganzen in Ordnung. Das Hauptproblem ist aber, dass der Takt leider oft nur auf dem Papier existiert und mit der Realität nur selten etwas zu tun. Denn in der Regel (nicht in der Ausnahme) wird man mit entsprechenden Verspätungsansagen beim Betreten des S-Bahnhofs begrüßt. Gerade auf der Ringbahn ist das absolut unglaublich wenn man bedenkt, dass die Strecke im Kreis herum führt. Was außerdem nervt, sind die erwähnten 20-Minuten-Takte mancher Busse mitten im Stadtgebiet. Jene können locker mit der Ringbahn als das Unsäglichste des Stadt-ÖPNVs bezeichnet werden. Das heißt nämlich z.B. für mich nicht nur eine auf drei Abfahrtzeiten in der Stunde reduzierte Möglichkeit, meinen Arbeitsplatz zu erreichen. Das ist nicht konkurrenzfähig, der 10-Minuten-Takt der U4 ist da fast egal. Dazu kommt nämlich dann noch als Highlight, dass diese Busse häufig unregelmäßig und zu früh abfahren. Dann ist man sehr verärgert. Positiv aber, dass alle Linien (außer der U55 und natürlich „meiner“ U4:-( ) am Wochenende 24 Stunden fahren. Unter der Woche sind die Metrobusse mit maximal 30 Minuten die ganze Nacht über auch ordentlich.

 Platz 3: Istanbul Momentan ist auf Grund der beschriebenen Gegebenheiten der ÖPNV in Istanbul sehr zerstückelt, was die Reise von A nach B mitunter beeinträchtigt. Allerdings hängt dies sehr stark von Abfahrt- und Ankunftsort ab. Will man von Karaköy zur Hagia Sophia steht der ÖPNV perfekt zur Verfügung mit der Tram im 10-Minuten-Takt. Möchte man aber von Levent nach Eminönü und von da weiter auf eine Fähre, steigt man von der Metro in die Seilbahn in die Tram in die Fähre… Das ist dann doch etwas aufwändiger, weil eben der Takt zwischen den individuell verkehrenden Verkehrstypen nicht immer abgestimmt ist. Das wird sich aber – so meine Prognose – stark verändern durch die Erweiterung der U-Bahn. Dann fährt man die gleiche Strecke mit einmal umsteigen wahrscheinlich in Besiktas bis durch den Bosporus nach Asien. Das ist dann endgültig konkurrenzfähig. Sowas wie der Tünel ist zwar nett und historisch, aber eigentlich mehr für Touristen als den Berufsverkehr geeignet. Nachts wird es bekanntlich irgendwann dunkel, und ob dann in Sachen ÖPNV noch was geht… schwer zu sagen.

Ausblick in die Zukunft

London hat eine Ausbaustufe im Vorfeld zu Olympia hinter sich, z.B. mit der Fertigstellung der Jubilee Line über Green Park hinaus einmal unten rum bis nach Stratford. Vorbei an Greenwich mit der O2 und Canary Wharf. Istanbul baut gigantisch aus unter dem Namen Maramray Project – das gesamte U-Bahnnetz wird dann neben Atatürk auch den zweiten Flughafen Sabiha Gökcen einschließen bis 2019 (mehr hier). Berlin baut aktuell die U5 aus bis zum Anschluss an die U55 am Brandenburger Tor. Bärlinde buddelt gerade aktuell unterhalb des ehemaligen Palastes der Republik und des ebenfalls in Bau befindlichen StadtschlossNACHbaus. dazu kommt nicht mehr viel momentan. Irgendwann, wenn der BER mal fertig sein wird, dann soll im Zuge der Umgestaltung von Tegel noch die U-Bahn dorthin verlängert werden. Eine hirnrissige Nummer, das erst nach der Schließung des Flughafen Tegel angehen zu wollen, aber wäre immerhin gut für die Studenten der Beuth Hochschule für Technik, die die Nachmieter werden.

Im zweiten Teil dieses Artikels mit dem Namen Zeigt her eure Karte geht es dann um den konkreten Ablauf des Betriebs und vor allem Preise sowie die Art der Bezahlmöglichkeiten von Tickets in den drei ÖPNV Standorten.

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